Archiv der Kategorie: Partizipation

Aufgewärmtes gegen Politikverdrossenheit

Was haben Jan Hofer, Mike Krüger, Sahra Kuttner, Detlev Buck, Massiv, Manuel Cortez und Claude-Oliver Rudolph gemeinsam? Sie alle gehen nicht wählen! Und sie verkünden dies lauthals in einem YouTube-Film, welcher vor ein paar Tagen im Netz erschien. „Die ganze politische Klasse ist korrupt“, sagt etwa Herr Rudolph und Rapper Massiv kriegt erstmal ’nen Hals. „Alter, geh nicht hin!“, denn das bringe ja – und da sind sich die „Stars“ einig – sowieso nichts. Plappermäulchen Sarah Kuttner versteht nix und leckt lieber die Kamera ab und Detlev Buck findet Wahlaufrufe grundsätzlich Blödsinn. Aber vor allem Jan Hofer geht nicht zur Wahl. Wie bitte?Nein, das glauben wir ihm wirklich nicht. Das ganze Szenario schreit nach Auflösung aber nach knapp einer Minute ist der Spaß vorbei und die Zuschauer bleiben einigermaßen verdutzt mit dem abrupt beendeten Video und zusammenhangslosen Aussagen vermeintlicher Fernsehberühmtheiten zurück. Keine Message? Keine Pointe? Was wollen uns Hofer & Co nun damit sagen? Fällt die Bundestagswahl am Ende aus?

 

 

Ahnen, welche Ironie im Spot steckt kann nur der, der das amerikanische Vorbild aus dem US-Wahlkampf kennt. Dort riefen Schauspieler und Musiker wie Leonardo Di Caprio, Julia Roberts, Cameron Diaz, Snoop Dog, Tom Cruise und viele Andere im Rahmen der Kampagne „Don’t vote“ in verschiedenen Clips zum Nicht-Wählen auf. Allerdings geht dort die Idee weiter als bei der deutschen Kopie und nach der Hälfte des Films dreht sich der Spieß um: „Don’t vote … unless you care about health care“. Und so werden die Zuschauer am Ende mit schlagkräftigen Argumenten vom Gang zur Urne überzeugt. Keine schlechte Idee.

 

 

Zurück zum deutschen Film. Er hingegen wirkt wie ein billiger Abklatsch und auf den ersten Blick humorlos ohne Sinn und Pointe. Auf jeden Fall nicht wie eine Erfolg versprechende Kampagne zur Motivation der staatsgeplagten deutschen Wahlbevölkerung. Warum hat man nicht gleich das amerikanische Original genommen und einfach mit deutschen Untertiteln versehen? Stopp! Deutschland hat doch auch Stars, und die müssen sich mal wieder sehen lassen. Also Schulterblick übern Teich und „Ah, das passt doch“, denn zufällig steht uns ja auch bald eine Wahl ins Haus.

Laut Politik-digital, dem Initiator der Kampagne, wird der einfallslose Video-Schnipsel aber noch nicht alles gewesen sein. Am Dienstag soll in einer Pressekonferenz Stellung zum Clip genommen werden. Vorher wird nix verraten. Wahrscheinlich dreht sich der Spieß in der Fortsetzung des Films um und die Schauspieler schaffen es, die Zuschauer mit schlagkräftigen Argumenten vom Gang zur Urne zu überzeugen. Oder wird es vielleicht noch spannend?

Neue App für SPD-Wahlkampfreporter

Der Onlinewahlkampf setzt auf immer ausdifferenzierte Technik. Jetzt hat die SPD als erste deutsche Partei von A&B FACE2NET eine iPhone-Applikation entwickeln lassen, die einen Datenaustausch mit Wahlreportern ermöglichen soll.

iPhone App der SPD

SPD-affine Bürger können sich die Applikation herunterladen und darüber mit ihrem iPhone aufgenommene Fotos von Wahlkampfszenen direkt an die SPD senden. Bild, Beschreibung und der Name des Fotografen wird kurze Zeit später auf wahlkampf09.de präsentiert. Über GoogleMap lassen sich alle Fotos nach Wunschort anzeigen.

Die App für das iPhone ist dabei nur der Anfang, lässt Dietrich Boelter, Geschäftsführer der Agentur verlauten, und begegnet damit potentiellen kritische Reaktionen:

„Dass wir unsere ersten Schritte im mobile Campaigning auf das iPhone konzentriert haben, sei uns verziehen. Irgendwo muss man eben anfangen. Die Besitzer anderer netzfähiger Telefone bitten wir um ein wenig Geduld – eine dot-mobi-Anwendung ist in Arbeit, damit bekommen wir die Ausweitung des mobilen SPD-Wahlkampfes auf alle Mobiltelefone mit Internetzugang hin. Und über neue Twitter- und Facebook-Features für ein mögliches Update von iSPD denken wir natürlich auch schon nach.“

Jetzt bleibt es spannend, inwieweit die anderen Parteien angesichts der weniger als 100 verbleibenden Tage bis zu den Bundestagswahlen noch technischen aufrüsten werden. Und: Ob die SPD sich durch technische Raffinessen bei der Netzgemeinde doch noch ein paar Sympathiepunkte abholen kann – nach dem Negativ-Dämpfer durch die Netz-Sperre.

Sonja

Kritische Masse: Virtuelle Denkfabrik für Außenpolitik

Nicht erst Obama hat erkannt, dass die Vernetzung von Menschen ziemlich viel bewegen kann. Auf die kritische Masse setzt die virtuelle Denkfabrik Atlantic-community.org schon seit 2007, um die globale Agenda gemeinsam zu debattieren. Ungebündeltes Bürger- und Expertenwissen soll so gebündelt, diskutiert und weiterentwickelt werden – um vielleicht zu dem einen oder anderen Lösungsansatz zu gelangen: „Truly democratic dialogue which is grounded in transparent debate is the key to cooperative solutions“ – eine Kampfansage an die elitären Elefantenrunden in Hinterzimmern.

Technologie und Terrorismus

Popkulturelles Gezwitscher hat hier keinen Platz – stattdessen stehen außenpolitische Themen von Terrorismus bis hin zu Technologie oder der aktuellen Wahl im Iran und möglichen Reaktionen auf dem Programm. Hinter der Community steht die unabhängige „Atlantische Perspektive“, die von Wissenschaftlern, Journalisten und Politikern 2004 zur „Stärkung der außenpolitischen Kultur“ und einer verbesserten Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA gegründet wurde. Mittlerweile 20.000 Mitstreiter sind inzwischen in der Atlantic-Community aktiv.

Atlantic-Community

Um die Seriösität zu gewährleisten, wird redaktionell selektiert – alle Beiträge müssen ein „gewisses Niveau“ besitzen. Im Vordergrund der Debatten steht nicht der Status, sondern die Qualität: „On atlantic-community.org good arguments rank above seniority or academic degrees.“ Eine Auswahl der besten Beiträge wird täglich prominent platziert. Informieren kann man sich zusätzlich im Archiv und über die Kommentare aus internationalen Medien.

Spread the word

Doch die Impulse werden auch nach außen getragen: Die aufgeworfenen Ideen und Lösungsansätze fungieren auch als Ideengeber an politische Entscheider – diese erhalten sogenannte „Atlantic Memos“,  Zusammenfassungen der besten Argumente, die in den Open Think Tank-Debatten entstehen.

Sonja

Der reflektierte Nichtwähler?

Der Politologe Emanuel Richter findet die geringe Beteiligung an der Europawahl von knapp 43 Prozent ganz und gar nicht problematisch. Vor allem sei sie kein Indikator für Europaverdossenheit und Demokratiemüdigkeit.

Emanuel Richter im Interview auf freitag.de

Kreativer Protest: Grundgesetz-Lesung

„Eine Zensur findet nicht statt“ und andere Passagen klangen am Samstag zum 60. Geburtstag des Grundgesetzes neben dem Berliner Hauptbahnhof aus ca. 200 bis 300 Kehlen. Die Grundgesetz-Lesung sollte auf die Auswirkungen von datenbezogenen Gesetzen auf die Bürgerrechte aufmerksam machen. Die kreative Aktion flankierte die Petition der Berlinerin Franziska Heine zur Webseiten-Sperrung im Zuge des Kinderpornografie-Gesetzes, die nach der Unterstützung durch über 90.000 Stimmen zur öffentlichen Anhörung am 27. Mai in den Petitionsausschuss des Bundestages geladen wird.

Grundgesetz-Lesung

Franziska Heine auf der Grundgesetz-Lesung

Die Aktion reiht sich in andere kreative Versammlungen ein, bei denen Unbekannte sich online zum gemeinsamen Happening verabreden und sich nach der temporären Vereinigung blitzartig wieder auflösen. Um einen Flashmob – bei dem Jugendliche konzertiert McDonalds-Filialen stürmen oder beim „Freeze“ auf dem Alexanderplatz gleichzeitig erstarren – handelt es sich bei diesem medienwirksamen Protest aber nicht. Zur  Ehrenrettung der massenhaften Intelligenz schreitet hier der große Bruder des Flashmobs: der Smartmob. Wo der Flashmob schlicht Aufmerksamkeit mobilisieren möchte und sich dann aus dem Staub macht, hofft der Smartmob (bei Benutzung derselben Mittel) auf nachhaltige Wirkung. Das Phänomen, dass sich fremde Menschen mit einem gemeinsamen Ziel durch neue Kommunikationstechnologie zu Aktionen verabreden, beschrieb der Medientheoretiker Howard Rheingold 2002 in “Smart Mobs: The Next Social Revolution”. Und tatsächlich: die smarte Variante wird bei vielen sozial- und globalisierungskritischen Aktionen eingesetzt und 2001 hatten per SMS koordinierte Smartmobber gar durch Blitzdemos zum Sturz des philippinischen Präsidenten Estrada beigetragen – überall wo der korruptionsverdächtige Politiker auftauchte, protestierten in Windeseile auch schwarz gekleidete Demonstranten.

Die Grundgesetz-Lesung in Berlin ist auf einen Aufruf auf dem Blog von MOGIS (MissbrauchsOpfer gegen InternetSperren) zurückzuführen und konnte über ein Wiki bundesweite Versammlungen initiieren. Mit Schildern und Grundgesetz bewaffnet trafen sich die Teilnehmer der Lesung, blätterten in ihren Gesetzen, sollten murmelnd lesen oder „Die Gedanken sind frei“ singen, kurze Zeit erstarren, um dann im Sprechchor  Artikel 1, 5, 8, 10 und 19 GG vorzulesen.

Sonja

Lieber keine Wahl? WKA im Interview mit den „Wahlschleppern“

Die „Wahlschlepper“ beschäftigen sich mit dem, was auch der Politik im Wahljahr 2009 am meisten zu schaffen macht: Der Nichtwähler steht im Fokus der Initiative für mehr Wahlbeteiligung, die das Phänomen online und offline zu erfassen – und auch zu minimieren – versucht. Mit „Politik Light“, Informationen über das Internet und Aktionen auf der Straße soll den wahlunwilligen Bürgern die politische Einflussnahme per Stimmzettel wieder etwas näher gebracht werden. 

Wer steckt hinter „Wahlschlepper“?

Hinter Wahlschlepper stecken sieben engagierte, politikinteressierte und internetaffine junge Leute, denen die Wahlbeteiligung in Deutschland einfach zu niedrig ist. Wir sind bunt gemischt – von Studenten bis zu nine-to-five arbeitenden Personen. Dabei versucht jeder sich mit seinen Kompetenzen in unsere private Initiative einzubinden, sei es mit Technik, Grafik, PR oder Redaktion.

Historisch zwangen Wahlschlepper unwillige Bürger notfalls mit Gewalt oder Alkoholisierung zur Wahlurne – auf welche Methoden setzt Ihr?

 Ihr seid die Ersten, die uns auf unsere Namensgeschichte ansprechen beziehungsweise auch die Hintergründe des Namens kennen. Die Methoden von früher sollen nicht unsere sein. Wir wollen die Nichtwähler mit Gedankenspielen wach rütteln, beispielsweise: Was passiert, wenn in Deutschland keiner mehr wählen geht?

Leere Sitze?

Wo sind die Wähler?

Wir sehen uns als Multiplikator, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Oft reicht ein Gespräch und den Leuten wird klar, warum wir unser Wahlrecht nutzen sollten. In anderen Ländern gibt es darum blutige Kriege. Mit spannenden Inhalten, Interviews, interessanten Analysen, Spaß am Internet und der Politik wollen wir unseren Beitrag für ein paar mehr Stimmen in Deutschland leisten.

Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, Wahlschlepper zu gründen?

Die Initiatoren Jana und Björn waren schon im hochschulpolitischen Bereich sehr aktiv und wollten bei Hochschulwahlen den Vertreterinnen und Vertretern in den Gremien mit einer hohen Wahlbeteiligung mehr Rückendeckung für ihre Arbeit verschaffen. Ergebnis waren die Wahlschlepper an der Uni. Mit beachtlichen Erfolg. Das was auf Universitätsebene klappt, funktioniert auch bundesweit.

Anfang des Jahres hatten die beiden eine der unzähligen Diskussionen um Politik. Björn ist ja Parteimitglied und Jana parteilos. Man konnte sich politisch zwar nicht einigen, aber die beiden erkannten, dass es über die Parteigrenzen hinweg wichtig ist, sein Kreuz zu machen. Letztlich folgte eine der Fragen, die uns keine Ruhe gelassen hat: „Wie niedrig muss eine Wahlbeteiligung sein, damit Politik noch tragfähig ist?“. Das Fazit der Diskussion hat uns derart aufgerüttelt, dass wir uns entschlossen haben, die Initiative zu gründen.

Wahlschlepper Session im Wohnzimmer

Wahlschlepper-Session im Wohnzimmer

 

Was wollt Ihr mit Eurer Initiative erreichen?

Wir wollen, dass die Wahlbeteiligung steigt. Natürlich wollen wir auch über das Thema aufklären. Das geht über das Wahlrecht, welches schon recht kompliziert ist, bis hin zum Thema Politikverdrossenheit und ihre Gründe. Politik im Internet ist dabei ein spannendes Thema, weil wir der Meinung sind, dass das Internet der Verdrossenheit ein Bein stellen kann. Wir zeigen, dass Politik eine spannende, partizipative und auch sehr humorvolle Seite hat. Beiträge, Videos und das eine oder andere noch nicht zu verratende Feature sollen dabei helfen. Ziel ist es, die Bürger zu mobilisieren und dass sie sich und ihre Freunde und Bekannte zur Wahl schleppen.

Wahlschlepper Webseite

Gibt es den typischen Nichtwähler?

Das war einer unser ersten Beiträge auf Wahlschlepper.de, recherchiert und geschrieben von unseren Wahlschlepper Volker. Den typischen Nichtwähler gibt es nicht. Nichtwähler unterschieden sich in vier Kategorien. Den technischen Nichtwähler, der wegen Krankheit nicht wählen geht oder sonst wie verhindert ist, seine Stimme abzugeben. Dann gibt es den grundsätzlichen Nichtwähler, der dem politischen System distanziert gegenübersteht und den konjunkturellen Nichtwähler, der seine Stimme verweigert, weil ihm die politischen Themen oder die politischen Entscheidungsträger missfallen. Der bekennende Nichtwähler und letzte seiner Gruppe verweigert aus Überzeugung seine Stimmabgabe. Den typischen Nichtwähler gibt es also nicht wirklich, wobei wir bemerken, dass die Gruppe der grundsätzlichen und konjunkturellen Nichtwähler sehr groß ist.

 Könnt Ihr als politisches Onlineangebot überhaupt Nichtwähler erreichen?

Eine angesichts der „Internet Boheme“ wichtige Frage, die wir uns auch gestellt haben. Studien zeigen, dass die meisten Nichtwähler eher weniger Netz-affin sind und wir sie somit eigentlich auch nicht direkt erreichen. Wir reihen uns ein in die zentrale Diskussion der Internetpolitik. Wir setzen stark auf den Mundpropaganda- beziehungsweise Multiplikatorfaktor. Zudem versuchen wir mit spannenden Kampagnen die Brücke zwischen Internet und den „normalen“ Bürger beziehungsweise Nichtwähler zu schlagen.

Wir gehen auf die Straße und interviewen wild durch die Reihen. Dadurch können wir den direkten Kontakt halten. Und wenn man sagt, dein Interview ist im Internet zu sehen, dann taucht der ein oder andere auch mal auf unserer Seite auf. Auch in den anderen Medien versuchen wir unterzukommen, um auf anderen Kanälen mit den Nichtwählern zu kommunizieren. Mit unserer eher humorvollen Reihe das „Reiher-Stecher-Duell“, möchten wir Leute erreichen, die sich zwar im Netz bewegen, aber nicht den ganzen Tag die politischen Tweets bei Twitter verfolgen.

Können die Parteien mit Ihrem Engagement im Internet die Wähler wieder für Politik begeistern?

Wir glauben schon, dass die neue Form politische Inhalte zu kommunizieren Interesse wecken kann. Es macht Politik transparenter und sie können die Leute schneller mobilisieren. Wir stehen damit noch am Anfang und die Politiker haben noch einen weiten Weg vor sich. Um für Politik zu begeistern, muss man Politik einfach und sexy machen. Internet kann da einen wichtigen Beitrag leisten. Der Aspekt, dass das Internet die Politiker persönlicher wirken lässt, strahlt außerdem viel Attraktivität aus und kann letztlich engagierte Leute für Politik begeistern. Das Internet ist wie ein Staubsauger, der den politischen Staub aufwirbelt und tanzen lässt.

Wie ist das Feedback auf Eure Aktion bisher ausgefallen?

Das Feedback ist bislang sehr positiv ausgefallen. Der Launch war ein richtiger Erfolg. Einige kleine Interviews und redaktionelle Beiträge haben wir auch schon erhalten, darunter Politik-Digital.de, Stern Online und die Zeitung Politik und Kommunikation. Wir hoffen natürlich auf mehr, um gemeinsam für eine hohe Wahlbeteiligung in Deutschland zu kämpfen.

Sonja