Schlagwort-Archive: Politik 2.0

Kritische Masse: Virtuelle Denkfabrik für Außenpolitik

Nicht erst Obama hat erkannt, dass die Vernetzung von Menschen ziemlich viel bewegen kann. Auf die kritische Masse setzt die virtuelle Denkfabrik Atlantic-community.org schon seit 2007, um die globale Agenda gemeinsam zu debattieren. Ungebündeltes Bürger- und Expertenwissen soll so gebündelt, diskutiert und weiterentwickelt werden – um vielleicht zu dem einen oder anderen Lösungsansatz zu gelangen: „Truly democratic dialogue which is grounded in transparent debate is the key to cooperative solutions“ – eine Kampfansage an die elitären Elefantenrunden in Hinterzimmern.

Technologie und Terrorismus

Popkulturelles Gezwitscher hat hier keinen Platz – stattdessen stehen außenpolitische Themen von Terrorismus bis hin zu Technologie oder der aktuellen Wahl im Iran und möglichen Reaktionen auf dem Programm. Hinter der Community steht die unabhängige „Atlantische Perspektive“, die von Wissenschaftlern, Journalisten und Politikern 2004 zur „Stärkung der außenpolitischen Kultur“ und einer verbesserten Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA gegründet wurde. Mittlerweile 20.000 Mitstreiter sind inzwischen in der Atlantic-Community aktiv.

Atlantic-Community

Um die Seriösität zu gewährleisten, wird redaktionell selektiert – alle Beiträge müssen ein „gewisses Niveau“ besitzen. Im Vordergrund der Debatten steht nicht der Status, sondern die Qualität: „On atlantic-community.org good arguments rank above seniority or academic degrees.“ Eine Auswahl der besten Beiträge wird täglich prominent platziert. Informieren kann man sich zusätzlich im Archiv und über die Kommentare aus internationalen Medien.

Spread the word

Doch die Impulse werden auch nach außen getragen: Die aufgeworfenen Ideen und Lösungsansätze fungieren auch als Ideengeber an politische Entscheider – diese erhalten sogenannte „Atlantic Memos“,  Zusammenfassungen der besten Argumente, die in den Open Think Tank-Debatten entstehen.

Sonja

Wer stellt wo die Fragen?

Wie sie bestimmt schon gemerkt haben, gibt es seit einigen Wochen ein neues Debattiertool auf freitag.de: die WahlkampfarenaDort können Sie gesellschaftspolitisch relevante Fragen anbringen, über die wichtigste Frage abstimmen, natürlich Ihre Meinung zum Thema abgeben und Meinungen anderer User kommentieren und so die Debatte starten. Das Wesentliche ist jedoch, dass SIE die Fragen stellen, die Sie bewegen und über die Sie sich gern mit anderen Usern aus der Community austauschen möchten.

Ganz anders, aber auch charmant, läuft es beim YouTube-Channel zur Bundestagswahl 2009. Dort stellen Politiker die Fragen ans Volk, und zwar die Spitzenkandidaten der Parteien im Bundestag.

So zum Beispiel fragt Gregor Gysi Sie danach, wie Sie das Zusammenleben der Menschen besser gestalten würden. Und Jürgen Trittin fragt nach Ihren  Anregungen zur Lösung des Atommüllproblems. Haben Sie eine Idee? Dann posten Sie doch eine Videobotschaft als Antwort. Richtige Debatten kommen dort zwar nicht auf, aber dafür gibt’s ja schließlich auch die Wahlkampfarena 🙂

Die Schweizer haben’s erfunden

Ohne viel Taraaa zeigt uns die schweizer FDP, wie man den Internetwahlkampf im Jahre 2009 sinnvoll gestalten kann. Dabei geht es der FDP weniger um aufgemotzte Animationsfilmchen und das Heruntermachen von Kandidaten anderer Parteien. Klar und geradeheraus werden Themen angesprochen, die der FDP in Luzern wichtig sind. Ein Kandidat ist uns dabei besonders aufgefallen: Marco Fischer, ein 29 jähriger Jurist, der sich als Vertreter der jungen Generation Luzerns sieht.

„Und jetzt benehmen sie sich alle wie kleine Obamas“: WKA im Interview mit Andrea Nahles

Im Vorfeld der Bundestagswahlen 2009 traf Jan Andrea Nahles zu einem Interview. Bei dem Gespräch mit der stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden, das aufgrund der Länge als dreiteilige Serie veröffentlicht wird, lag der Fokus auf dem Dialog mit den Bürgern, dem Engagement, sich im Internet zu engagieren, Kontrollverlust und knappen Zeitressourcen.

Wie erklären Sie sich den Run auf das Internet im Kontext des Wahljahres 2009?

Einfach durch die User. Als ich im Deutschen Bundestag 1998 mit der Politik begann, habe ich in meinem Wahlkreisbüro E-Mail-Unterricht für ältere Parteimitglieder gemacht und habe händeringend darum gebeten, dass ich mehr E-Mailadressen in meine Verteiler bekomme. Weil das einfach unschlagbar preiswert war. Wenn ich daran denke, dass ich damals noch circa die Hälfte meiner Korrespondenz per Post aufgegeben habe, so ist das auch ein Kostenfaktor. Also haben wir auch die Älteren, die skeptisch gegenüber dem Medium waren, systematisch in Kursen, auch am Wochenende, langsam an das Internet herangeführt.

Mittlerweile ist es gar kein Thema mehr. Es gibt keinen einzigen der hier vor Ort in meiner Partei aktiv ist, der keinen E-Mail-Anschluss hat. Das heißt: In den letzten 10 Jahren hat sich die Möglichkeit Menschen so zu erreichen schlichtweg verdreifacht oder vervierfacht – jedenfalls aus meiner Sicht völlig verändert. Durch diesen Anstieg der Userzahlen – auch bei älteren Menschen – kann ich als Politiker die Bürger besser erreichen. Darauf bin ich angewiesen. Das ist so ganz simpel. Ich will möglichst viele Menschen erreichen.

Andrea Nahles

Werden Sie stärker über E-Mails oder über die Post kontaktiert?

Immer auch noch über den klassischen Postweg. Obwohl ich noch sehr viel Post bekomme, ganz klassisch, ist es aber so dass, wenn man das abzählen würde, die E-Mails sich in einem Verhältnis von 65 zu 35 Prozent zur Briefpost bewegen – also doch deutlich Übergewicht haben. Weiterlesen

Was bisher geschah: Politcamp09

Das Politcamp09 ist vorbei und es stellt sich die Frage, welche Erkenntnisse aus dem Barcamp im Radialsystem V gezogen werden konnten. Hier unsere subjektive Zusammenfassung des Wochenendes, die auch einige Implikationen für unser Projekt enthielt:

Testing der Wahlkampfarena

Nach Problemen mit dem Internetzugang (was nach der re:publica `09 langsam zur Tradition wird), konnten wir die Baby-Betavariante der Wahlkampfarena in einer Session am Samstag letztendlich doch live vorstellen und durchtesten. Die Wahlkampfarena ist eine auf freitag.de lokalisierte politische Debattierplattform, bei der Politiker und Politikinteressierte Fragen generieren, bewerten und mit Pro- und Contra-Argumenten debattieren können. Wöchentlich wird eine Frage, die Freitagsfrage, welche die meisten Debattenteilnehmer für relevant halten, prominent diskutiert. Unser Ziel war es, einen Dialog auf Augenhöhe zu schaffen, bei dem der politischen Einweg- und Wahlkampfkommunikation eine inhaltliche Debatte gegenübergestellt wird. Wir hatten das Glück, bei der Session auf sehr interessierte, aktive Zuhörer mit vielen Fragen zu stoßen, die uns wichtiges Feedback gegeben haben. Impressionen des Publikums finden sich zum Beispiel auf dem Blog der Wahlschlepper  oder bei Patrick Jedamzik. Diskutiert wurde unter anderem die Entscheidung, sich bei der Kennzeichnung der Parteisympathisierung sowie der statistischen Darstellung des Meinungsklimas nur auf die großen Parteien zu konzentrieren (was auch bei uns im Vorfeld sehr intensiv diskutiert wurde und letztendlich aufgrund der Übersichtlichkeit und der Relevanz für die Wahlen geschah). Auch eine Öffnung nach außen gegenüber Blogs und sozialen Netzwerken in Form von Widgets, die beabsichtigt, jedoch bisher noch nicht umgesetzt werden konnte, fand Unterstützung. Demnächst wird die Wahlkampfarena in der Beta-Phase dann offiziell gelauncht und wir sind gespannt auf Euer Feedback!

Testing des Facebook-Games

Im Rahmen der Session „Facebook im Wahlkampf sinnvoll einsetzen“ von Oliver Zeisberger, bei der in Co-Produktion mit allen Interessierten ein Zehn-Punkte-Plan für den politischen Einsatz von Facebook aufgestellt wurde, konnte Sven am Sonntag dann noch das Facebook-Game „Bundesregierung 2.0“ vorstellen. Was in Bewegtbild ab Minute 30 manchmal etwas kompliziert klingt, ist im Zusammenhang mit der Wahlkampfarena erklärt, ein ganz simples Prinzip: Über das Facebook-Game öffnet sich die Wahlkampfarena gegenüber dem sozialen Netzwerk und setzt auf einen spielerischen Zugang zu Politik. Jeder kann sich aus seiner Freundesliste bei Facebook ein Kabinett zusammenstellen, die Schlagkräftigkeit der Regierung resultiert aus der Beliebtheit der einzelnen ernannten Minister (Wie oft wird jemand von anderen für ein bestimmtes Amt vorgeschlagen?) sowie aus der möglichst korrekten Vorhersage, wie die Pro- und Contra-Stimmanteile für die Freitagsfrage der Woche aussehen, die jeder Minister wöchentlich treffen kann. Das Facebook-Game kann ebenso wie die WKA in Kürze online getestet werden.

Das Barcamp-Prinzip

Das Barcamp-Prinzip ist eine Wundertüte, die die Teilnehmer zwingt, zur morgendlichen Abstimmung zu erscheinen, um über das Programm abzustimmen und nicht die wichtigsten Sessions zu verpassen. Mit den Programmen für Samstag und Sonntag wurde eine Vielfalt von Themen abgedeckt. Was sich dahinter verbarg, wurde teilweise erst vor Ort greifbar. Mit drei Sessions sehr dominant vertreten war Oliver Zeisberger von der Web-Agentur Barracuda, der Thorsten Schäfer-Gümbel und die hessische SPD im Wahlkampf begleitet hatte, und unter anderem die TSG-Strategie vorstellte, was durch den Vortrag von den Koch-Unterstützern des Webcamp09 ergänzt wurde. Nach der Wahl ist vor der Wahl: Die kleinen Seitenhiebe der beiden Kontrahenten ließen Wahlkampfstimmung aufkommen. Aufschlussreich beim Vortrag von Zeisberger waren vor allem die Anekdoten am Rande – wie es dazu kam, dass er eine Nachricht für TSG verschickte oder dass Wer-kennt-Wen eine Maximalgrenze von 5.000 nur 4.000 Freunden hat und nun 1.500 Wannabe-Friends auf Thorsten Schäfer-Gümbels Gunst warten müssen.

Die „Elefanten-Session“ am Sonntag vereinte als Promi-Veranstaltung die Wahlkampfmanager der Parteien – Halina Wawzyniak (DIE LINKE), Kajo Wasserhövel /SPD), Robert Heinrich (Bündnis90/ Grüne), Stefan Hennewig (CDU) und Thomas Scheffler (FDP) – sowie den allseits bekannten Politikblogger Markus Beckedahl von netzpolitik.org. Patrick Brauckmann kristallisierte treffend das (auch nicht besonders neue) Fazit heraus, dass die Bedeutung des Online-Engagements im Wahlkampf erkannt wurde, Web 2.0-Instrumente auch für die interne Parteienkommunikation extrem sinnvoll sind und jeder Politiker selbst entscheiden muss, welche Kanäle zu ihm passen, und welche er sinnvoll und regelmäßig bespielen kann. Die große Herausforderung besteht darin, bei relativ knapp bemessenem Budget Offline- und Onlinemaßnahmen zu verknüpfen, um den Wähler letztendlich an die Urne zu geleiten.

Grundsätzlich war bei den Vorträgen oft wenig bahnbrechendes Neues dabei, teilweise überwog auch die Selbstdarstellung den tatsächlichen Informationsgehalt. Stefanie Sifft zog in ihrem Vortrag und in einem Beitrag bei Netzpolitik das Resümee, dass die Netzgemeinde immer noch sehr selbstbezogen und elitär diskutiere und fordert allgemeinverständliche Einmischungen und Engagement im realen (Politik-)Geschehen. Auf diesem Weg war das Politcamp, als Forum für Netz-, Politikinteressierte und Politiker, sicher ein richtiger und wichtiger Schritt – gerade die Zwischenräume zwischen den Sessions boten die Möglichkeit, Netzwerke verschiedener Akteure zu erzeugen. Wer weitere Erkenntnisse aus den Sessions ziehen konnte, möge diese doch bitte als Ergänzung in den Kommentaren posten!

Regeln vs. Regelbruch

Eine starke Nachfrage gab es (neben den Reizwörtern „Obama“, „Twitter“ und „Authentizität“) auch in Bezug auf Regeln und Guidelines für das Internet, da besonders Politiker Angst haben, falsch zu agieren. Auch hier gilt wieder: Nur wer die Regeln kennt, kann ebendiese brechen. Der Regelbruch erscheint dann aber wiederum als Königsdisziplin, und trennt die, die etwas tun, weil sie sich gerne experimentelle Wege eröffnen, von denen, die etwas korrekt absolvieren, weil es alle tun. Was wiederum dafür spricht, dass sich Web 2.0 und Politik 2.0 – zumindest von Seiten der Politiker – immer noch in einer Testversion befinden. Wir sind gespannt, wie es weitergeht.