Archiv der Kategorie: Medienwahlkampf

Piraten kapern Reichstagsufer

In Form einer „Kaperung des Reichstagsufers“ hat am vergangenen Wochenende die Piratenpartei zum Wahlkampfauftakt geladen. Mit einem kleinen, aber wendigen Schnellboot wurde zwischen Museumsinsel und Reichstag auf der Spree gekreuzt und über Megafon aus dem Grundgesetz zitiert. „Nur für den Fall, dass die Piratenpartei bei der Bundestagswahl weniger als die absolute Mehrheit erhalten sollte, möchten wir auch die Politiker anderer Parteien daran erinnern, was da drin steht“ erklärte Florian Bischof, Spitzenkandidat der Landesliste Berlin, die Aktion. Wahlkampfarena hat am Freitag die Presseaktion der Piratenpartei fotografisch und über Twitter begleitet. Hier eine kurze Zusammenfassung in zwei Bildern:

Piratenschiff mit Mannschaft

Florian Bischof und das Piratenschiff mit Crew

Im Gespräch mit Florian Bischof sowie anderen Piraten wurde deutlich, dass ein erfolgreiches Abschneiden bei der Bundestagswahl im wesentlichen davon abhängt, ob sie es schaffen, ihre Inhalte jenseits des Netzes bekannt zu machen. Grade die Tatsache, dass von Seiten der Piraten nicht versucht wird, die Komplexität ihrer Thematiken, beispielsweise in Bezug auf alternative Verwertungsformen und Entlohnung von Kulturschaffenden, zu leugnen, hebt sie von anderen Parteien ab und macht sie sympathisch. Allerdings wird darin wohl auch eine entscheidende Herausforderung für die Inhaltvermittlung jenseits des Netzes liegen.

Reichstagufer

Beschallung des Reichstagufer mit Zitaten aus dem Grundgesetz

Das Piratenschiff erinnerte eher an die Boote, der verzweifelten Piratenbanden an der somalischen Küste, als an die verklärten Schiffe der Freibeuter in der Karibik. Das heiße Wetter und die Vorfolgung durch ein Polizeischiff komplettierte die Szenerie.

Mehr Fotos http://www.flickr.com/photos/cbmd/sets/72157621984914172/

Wer stellt wo die Fragen?

Wie sie bestimmt schon gemerkt haben, gibt es seit einigen Wochen ein neues Debattiertool auf freitag.de: die WahlkampfarenaDort können Sie gesellschaftspolitisch relevante Fragen anbringen, über die wichtigste Frage abstimmen, natürlich Ihre Meinung zum Thema abgeben und Meinungen anderer User kommentieren und so die Debatte starten. Das Wesentliche ist jedoch, dass SIE die Fragen stellen, die Sie bewegen und über die Sie sich gern mit anderen Usern aus der Community austauschen möchten.

Ganz anders, aber auch charmant, läuft es beim YouTube-Channel zur Bundestagswahl 2009. Dort stellen Politiker die Fragen ans Volk, und zwar die Spitzenkandidaten der Parteien im Bundestag.

So zum Beispiel fragt Gregor Gysi Sie danach, wie Sie das Zusammenleben der Menschen besser gestalten würden. Und Jürgen Trittin fragt nach Ihren  Anregungen zur Lösung des Atommüllproblems. Haben Sie eine Idee? Dann posten Sie doch eine Videobotschaft als Antwort. Richtige Debatten kommen dort zwar nicht auf, aber dafür gibt’s ja schließlich auch die Wahlkampfarena 🙂

Bald gibt’s Kanzler

Nicht genug, dass wir uns mit „Germany’s Next Topmodel“ nun auch noch mit „Germany’s Next Showstars“ plagen müssen. Demnächst wird es auch „Germany’s Next Chancelor“ geben. Die politische Talentshow im ZDF – eher bekannt unter dem Namen „Ich kann Kanzler“ (Die Wahlkampfarena schrieb dazu hier am 17.02.2009) – kürt am Freitag den ersten wahren Medienkanzler Deutschlands!
Die Show, die im Februar 2009 startete, hat inzwischen 6 Finalisten hervorgebracht. Allesamt unter 35 Jahren. Damit hat das ZDF auch erreicht, was es wollte. Einen Obama braucht das Land. Einer, der talentiert und genug politisch motiviert ist, etwas umzustoßen im Land. Einer, der es schafft, die Jugend wieder zum Urnengang zu bewegen. Einer, der uns zeigt, dass auch Deutschland „cool“ sein kann.
Auf der Webseite der Show haben die Kandidaten die Möglichkeit, sich und ihr Anliegen vorzustellen und mit hochkarätigen Paten aus der echten Politik aufzutrumpfen. In kurzen Videos präsentieren sie sich und üben sich schon mal im Reden schwingen.

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Über 2500 Kandidaten bewarben sich, um bei „Ich kann Kanzler“ mitzumachen. Schließlich geht es ja auch um was: dem Gewinner winkt neben einem Praktikum im Bundestag – wahrscheinlich als Bundeskanzlerpraktikant – nebenbei auch noch ein Monatsgehalt von zarten 21792 Euro (!), welches jedoch nicht bar ausgezahlt, sondern in ein persönliches Projekt des Gewinners gesteckt wird.
Die 6 Finalisten, die es bis in die Endrunde geschafft haben, wurden durch eine Jury (Anke Engelke, Günther Jauch, Henning Scherf) ausgewählt. Natürlich wird der Kanzler selbst vom Volk gewählt, in diesem Fall den Zuschauern der Sendung, die am 19. Juni live übertragen wird.

Laut ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender soll die Talentshow jedoch nicht dem Prinzip der Model und Sing-Shows folgen, sondern einen öffentlich rechtlichen Bildungsauftrag erfüllen und so vor allem junge und politisch desinteressierte Menschen ansprechen. Über einen spielerischen Weg in einem jungen Format sollen den Zuschauern so Themen wie Politik und Demokratie vermittelt werden.
Brender betonte ausdrücklich, dass dem Gewinner der Show zweifelsfrei KEIN politisches Amt in Sinne des Titels der Sendung zukommen wird. Schade eigentlich, denn die jungen Kandidaten wirken motivierter als die Eminenzen im Bundestag.

Alle Hintergrundberichte, Analysen und Interviews zum Thema Medienkanzler gibt’s natürlich auf der Website der Show beim ZDF.

Die Schweizer haben’s erfunden

Ohne viel Taraaa zeigt uns die schweizer FDP, wie man den Internetwahlkampf im Jahre 2009 sinnvoll gestalten kann. Dabei geht es der FDP weniger um aufgemotzte Animationsfilmchen und das Heruntermachen von Kandidaten anderer Parteien. Klar und geradeheraus werden Themen angesprochen, die der FDP in Luzern wichtig sind. Ein Kandidat ist uns dabei besonders aufgefallen: Marco Fischer, ein 29 jähriger Jurist, der sich als Vertreter der jungen Generation Luzerns sieht.

Townhall Meeting: Fragen an Frau Merkel?

 In der kommenden Woche (17. Mai ab 21:45 Uhr) inszeniert RTL ein mediales Townhall Meeting: Bei dem Treffen mit Angela Merkel können 100 Bürger/innen der Kanzlerin Fragen stellen. Um eine Einladung zur Sendung zu erhalten, sollen alle Interessierten ihre Fragen an Frau Merkel schnellstmöglich per Mail (4949@rtl.de) oder Videobotschaft an RTL senden, erklären wer sie sind, in welcher Situation sie sich gerade befinden und wieso sie die Kanzlerin treffen möchten. 

Townhallmeeting RTL

 

Donnerlittchen, die DVU hat den Europawahlkampf eröffnet

Bald sind Wahlen und das hat auch die DVU erkannt. Pünktlich zur Europawahl bringt sie ihren Wahlwerbespot heraus: „Vielfalt ist Stärke“, „Kulturen sind Reichtum“, „Freie Entfaltung“, „Persönlichkeit achten“! Donnerlittchen, das sind ja ganz neue Töne des Deutschen Vereins Unterbelichteter, die sich jetzt „Die Neue Rechte“ schimpft. Doch schon ein paar Sekunden später weiß man dann auch, dass kein neuer Wind die durch die letzten Windungen der DVU-Gehirne weht: Natürlich gelte dies nur für einzelne Völker, die zwar Bleiberecht in Europa haben (danke) jedoch nicht zur Europäischen Union zusammengefasst werden dürften. So soll Spanien spanisch bleiben, Frankreich französisch und, wer hätte es nicht schon geahnt, Deutschland natürlich das Land der Deutschen. „Die EU schaltet gleich“ (was die DVU ja eigentlich nicht stören dürfte) und muss deshalb abgeschafft werden. Die Pflicht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, jegliche Wahlwerbevideos ausstrahlen zu müssen, wird uns wohl den ein oder anderen Spot der DVU vor dem Blockbuster in die Wohnzimmer zwingen.


Die DVU hat jetzt auch eine fesche Internetseite, mit der sie all die Sympathisanten erreichen, die wenigstens lesen und schreiben können. Wie die genau aussehen, kann man in einem wirklich schönen Wahlvideo sehen:

Schleichwahlwerbung bei DerWesten?

Über einen unschönen Fall von Parteien(schleich)werbung bei dem WAZ-Portal „DerWesten“ berichtet die Fachzeitschrift „journalist“ in der Aprilausgabe. Die WAZ New Media GmbH habe den Parteien angeboten, ihr Logo inklusive Verlinkung auf die jeweilige Parteienwebseite in das geplante „Wahl-Special“ zu den Kommunalwahlen einzubinden – für 25.000 Euro. In Wirklichkeit geht es allerdings nicht um eine – ziemlich teure – Werbeschaltung, vielmehr sollten die 25.000 Euro auch als „Eintrittskarte“ zum Portal fungieren. Wer nicht zahlt, wird im „Wahl-Special“ nicht berücksichtigt. Somit ist die Trennung zwischen Werbung und Redaktion nicht mehr gegeben – die redaktionelle Berücksichtigung wird an die Logo-Schaltung gebunden.

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Aufregung am Rande gab es auch bezüglich eines sexistischen Fotos, das die Präsentation zu dem „Wahl-Special“ zierte: es zeigt – unter einer Toilettentür durchfotografiiert – die Füsse einer auf dem Klo sitzenden Dame, deren roter Slip an den Knöcheln hängt, und die nebenbei auf ihrem Laptop tippt. DerWesten für überall, so oder so ähnlich war wohl die Aussage intendiert. Ich meine, das betreffende Foto im Rahmen einer Community-Bildergalerie auf DerWesten schonmal im Communitybereich gesehen zu haben – aus der Eigenwerbung-Serie ist jedoch nur noch das obige Bild mit Badezimmerbezug präsent.

Auch das Wahlwerbeangebot wurde aufgrund der negativen Reaktionen und mangelndem Interesse – laut „journalist“ zumindest von Seiten der Linken, Grünen und FDP – mittlerweile zurückgezogen. Ob das „Wahl-Special“ trotz der geplatzten Finanzierung auf diesem Wege nun zustande kommen wird? Bisher sind auf der Webseite nur Umfrageboxen zu politischem Engagement und redaktionelle Inhalte zu den Kommunalwahlen einzusehen – wie eine Übersicht der konkurrierenden Bürgermeister in den größten Städten. Wenig Wahl, noch weniger „Special“. Aber vielleicht kommt ja noch etwas.

Sonja

„The Power of Crowdsourcing“

Die SPD und die Kreativ-Community Jovoto hatten wohl schon geahnt, was da auf sie zukommen würde. Dank vorher festgelegter Spielregeln sind sie einem unangenehmen Ausgang ihrer Mitmachaktion, dem Frank-Walter-Steinmeier-Logo-Contest, noch einmal aus dem Weg gegangen. Da das eigentliche Siegerlogo (Wahlkampfarena berichtete: Crowdsourcing der Wahlkampfkommunikation) weniger an Herrn Steinmeier und seine SPD als an andere Parteigenossen erinnerte, wurde kurzerhand ein anderes Motiv auserkoren. Verwirrt? Also, das ist so: das Siegerlogo bleibt zwar das Siegerlogo, es muss aber nicht als solches zum Einsatz kommen. Dafür gibt es einen zweiten Sieger, der ein entschärfteres aber nicht weniger scharfes Steinmeier-Logo entworfen hat.

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Falsche Wahl? Frische Wurst?

Franky goes Web 2.0. Das Siegerlogo NACH seiner Überarbeitung durch die Agentur A+B FACE2NET. Eine eher enttäuschende Anlehnung an eine Liverpooler Band.

Am Dienstag, den 7. April, wurde Jovoto-Mitglied Marco Slowik für sein rotes, Stopp Schild-ähnliches Zeichen in der Berliner Parteizentrale der SPD zum Sieger des Crowdsourcing-Wettbewerbs gekürt und mit einem Scheck über 3.000 Euro für dieses äußerst reflektierte Signet entlohnt. Ob Frank Walter Steinmeier bei der Preisverleihung angesichts solcher  Leistung in Schreikrämpfe ausbrach, ist nicht bekannt. Einen Versuch war diese Aktion jedenfalls wert. Wahlkampfarena ist gespannt, ob sich noch andere Politiker der „kritischen Masse“ als Auftraggeber stellen. Frontblog interviewte das Berliner Start-Up Jovoto zu Sinn und Unsinn einer solchen Crowdsourcing-Aktion.

Anja

Amerikanische Verhältnisse in Deutschland?

Zumindest für das in letzter Zeit häufig so schön betitelte „Superwahljahr 2009“ gilt diese Aussage ganz bestimmt. Der US-Wahlkampf 2008 hat es vorgemacht: um neue Wähler zu gewinnen, reichen nicht mehr nur ausgetrocknete Wahlkampfveranstaltungen in Buxtehude. Die Strategien für den Wahlkampf weiten sich auch in Deutschland auf das Internet als neues Leitmedium aus. Doch lassen sich innovative Mittel à la Barack Obama so einfach auf die deutsche Politik anwenden?

DFPK

Das 5. Düsseldorfer Forum Politische Kommunikation (DFPK) fragt nach und hat für den 3. – 5. April 2009 zahlreiche Experten aus Politik, Wissenschaft und der Medienbranche eingeladen, um auf der Fachtagung über dieses Thema zu diskutieren. Unter den Gästen der Podiumsdiskussion im Palais Wittgenstein, die den Auftakt zur Veranstaltung gibt, finden sich u. a. Hans-Jürgen Beerfeltz (Bundesgeschäftsführer der FDP), Norbert Robers von der WAZ und Prof. Dr. Barbara Pfetsch von der FU Berlin.

Nicht nur Experten, sondern auch solche, die es einmal werden wollen, bekommen auf dem DFPK ihre Chance: Nachwuchswissenschaftler und Studenten aus der Politik- und der Kommunikationswissenschaft werden sich mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten und Projekten im Rahmen einer Tagung dem fachkundigen Publikum stellen.

Das DFPK wird als Plattform wissenschaftlicher Forschung von den Studierenden des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf organisiert. Das „Call for Paper“ ist leider schon abgelaufen. Wer sich für das Thema Politische Kommunikation im deutschen Wahljahr 2009 interessiert, kann jedoch sowohl bei der Podiumsdiskussion als auch bei der sich anschließenden Tagung dabei sein.

Informationen zum 5. Düsseldorfer Forum Politische Kommunikation unter www.dfpk.de

Anja

Virale Spielchen: Professionalisierung des Polit-Marketings

Statt sprechender Köpfe schicken die Parteien nun auch animierte Witzfiguren ins Rennen um die Aufmerksamkeit. Und es gelingt: Virale Videos wie die desaströse Raserei von Saarlands amtierendem Ministerpräsident Peter Müller (CDU) und Linksparteichef Oskar Lafontaine werden tausende Male – bis dato 18.000 Mal – geklickt und weiterverschickt.

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Die Wahlkampflektion wird hier per Anschauungsunterricht vermittelt: Während Müller und Lafontaine sich mit ihren Autos und schmutzigen Tricks ohne Rücksicht auf Materialverlust ein Wettrennen liefern, wird am Ende des Spots der Erlöser vor dem Weltuntergang präsentiert: „Bevor es kracht, muss Schluss sein mit dieser Raserei. Nur Heiko Maas steht für diesen Neuanfang“. Metapher und Aktion statt konkrete Aussagen, verständlich und einprägsam das Fazit.

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Vom Produkt zur Story

Der Spot der SPD ist ein Beispiel für eine „Professionalisierung“ der politischen Kommunikation – die Wahlkampfwerbung orientiert sich immer stärker am kommerziellen Werbestil. Was letzten Endes nicht verwundert, da die Parteien von renommierten Werbeagenturen durch den Wahlkampf geleitet werden, die andernorts routiniert Produkte und Unternehmen bewerben. So zeichnet sich die Evolution der Werbelandschaft – von dem Produkt im Mittelpunkt der Kommunikation bis zur Verdrängung von Materie durch Storytelling – auch im politischen Sektor ab. Ob es also um den neuen Audi-Spot geht, bei dem ein Mann auf Carving-Skiern durch San Francisco rast oder um den Konkurrenzkampf der politischen Kontrahenten: Konkretisiert wird das, um was es eigentlich geht, erst am Schluss. Oder auch: Von hinten durch die Brust ins Auge.

Die Übertragung von Marketingstrategien in die politische Arena mag zwar für einen höheren Unterhaltungswert beim Publikum sorgen. Am Ende wird jedoch bestätigt, was nicht unbedingt wünschenswert ist: Wer die emotional überzeugende Geschichte vorzuweisen hat, gewinnt – abseits jeglicher Argumente. Ob Waschmittel oder politischer Kandidat – beide erscheinen letzten Endes (bewertet man nur auf Basis von Wahlkampfwerbung) völlig austauschbar.

Sonja